Es sollte ein besonderer Abend sein, eine rauschende Ballnacht und geschäftiges Treiben der Dienstboten wies darauf hin, dass die Vorbereitungen dazu in vollem Gange waren. Der Mond stand voll am Himmel und sein silbernes Licht erhellte die sternenklare Nacht. Zur Romantik neigende Gemüter hätten sich bei diesem Anblick wohl in wirklichkeitsfremde Träumereien fallen lassen, doch nicht so jene die gerade an diesem Abend dazu aufgefordert worden war. Ein kühler Luftzug stahl sich in das edle Schlafgemach und Vicara fröstelte.
"Schliesst das Fenster Cynrahel!", gebot ihre gereizte Stimme, die es gewohnt war, dass man ihren Wünschen augenblicklich Folge leistete. Ihre Laune hatte einen Tiefpunkt erreicht, der kaum Steigerungspotential bot. Ihr missgünstiger Blick folgte dem jungen Mädchen, das sich beeilte ihrer Aufforderung nachzukommen. Cynrahel war nicht viel älter als sie selbst und doch schon seit mehreren Jahren verheiratet. Unter den Kammerzofen gingen bereits Wetten um, wann sich ihr junger Leib zu wölben begann. Vicara schloss einen Moment die Augen und haderte mit dem was man ihr, wider ihrem eigenen Willen auferlegt hatte. Insgeheim machte sie die andere dafür verantwortlich, dass die Menschen um sie herum, insbesondere ihr Vater es für nötig hielten sie hinsichtlich einer Heirat derart unter Druck zu setzen.
"Es steht ihnen nicht zu, es steht ihnen einfach nicht zu...", murmelte sie leise.
"Sagtet ihr etwas, Mylady?", fragte Cynrahel mit einem scheuen, doch aufrichtigen Lächeln, während sie ihr einen lieblich duftenden Kranz aus Friedensblumen aufs lange blode Haar setzte. Sie sollte in ihrem schlohweissen Kleid unschuldig wirken, rein und unberührt und die Zofen hatten ihr Bestes dazu getan. Vicara winkte entnervt ab. Sie atmete tief durch und straffte sich ehe sie das Zimmer verliess.
Am oberen Ende der grossen Treppe blieb sie stehen. Zu ihren Füssen erstreckte sich der grosse Ballsaal im herrschaftlichen Anwesen ihres Vaters. Die gigantischen Kronleuchter, liessen ihn in all seinem Prunk erstrahlen. Gold glänzte an den Wänden, marmorne Säulen, schwungvolle Bögen, schwere, samtene Vorhänge in tiefem Rot und eine eindrucksvolle Galerie der einflussreichsten Persönlichkeiten in der Geschichte Loradeons, vermittelten jedem der diesen Raum betrat eine ungefähreVorstellung, wieviel Macht, Reichtum und Einfluss ihr Gastgeber inne hatte.
Am Fuße der Treppe stand Victor Syranos, gehüllt in seine natürliche Aura der Macht, die in all jenen die ihn umgaben den Wunsch weckte, ihm zu gefallen. Er schenkte seiner Tochter gekonnt galant ein kühles Lächeln, das sie nicht minder kühl erwiderte. Um ihn herum standen, zwischen all den anderen Gästen die Söhne einflussreicher Familien. Vicara war sich ihrer bewundernden Blicke bewusst, als sie würdevoll einen Fuß vor den anderen setzend, die Treppe hinabstieg. Diese Narren! Diese verdammten Narren! Sie wusste um ihre Schönheit, ihren Verstand und ihren Wert. Um sich ihrer Wirkung bewusst zu sein, brauchte es keiner einfältigen Bewunderer die linkinsch gestammelte Komplimente vorbrachten. Sie kam sich vor wie ein wertvolles Austellungsstück, auf das jedermann hoffnungsvolle Blicke richtete und sich dazu berufen fühlte Erwartungen daran zu knüpfen.
An der letzten Stufe angelangt, reichte ihr der Vater formvollendet den Arm um sie zum ersten Tanz des Ballabends zu führen.
Die Menge der Umstehenden teilte sich, doch ehe sie das Parkett erreichten entstand weiter hinten im Raum Tumult. Mit unfreundlichen Worten und angewandter Ellenbogenmanier bahnte sich die gedrungene Gestalt eines hageren Mannes einen Weg durch die Reihen der geladenen Gäste.
Vicara erkannte in ihm Ardomeus, einen langjährigen Bediensteten ihres Vaters, dessen vielfache Aufgabenbereiche ihr in ihren Ausmaßen unklar waren. Sein stechender Blick, sein katzbuckelndes Gebahren und sein ausgesprochen unangenehmes Talent immer dann aufzutauchen wenn man am wenigsten damit rechnete, führten zu manchem Gerücht über ihn und sein Tun. Er flüsterte dem Herrn des Hauses zischend etwas ins Ohr. Vicara beobachtete wie ein Schatten über das strenge Gesicht ihres Vaters zu ziehen schien, als wolle sich in seiner oberen Gesichtshälfte ein Unwetter zusammenziehen. Doch seine Lippen lächelten mit dem Charme einer steinernen Statue.
"Entschuldige mich Liebes..." Er räusperte sich. "...die Geschäfte..."
Vicara stöhnte innerlich auf und warf Ardomeus einen erbosten Blick zu in dem all ihre Abscheu lag. Dann drehte sie sich aprupt um und wandte sich wahllos einem der Jünglinge zu, der sich überraschend im Fokus ihrer Aufmerksamkeit wiederfand und schüchtern erötete. Sie nahm ihm den Blumenstrauss aus den Händen und drückte ihm dem Nächststehenden in die Arme.
"Du wirst mit mir tanzen. Jetzt!"
Möge die Zeit verfliegen und dieser unglückseelige Abend vorübergehen. Sie wünschte ihre Mutter wäre hier; die Mutter ihrer idealisierten Erinnerung hätte dem Vater Einhalt geboten und sie nicht gezwungen sich einen Ehemann zu erwählen. Als ihre Mutter an Lungenentzündung verstarb, war Vicara noch ein Kind und das Bild der Toten, aufgebahrt im blumengeschückten Sarg hatte sich in ihr Gedächtnis gebrannt. Ihr Antlitz, so friedlich als sähen ihre Augen den Glanz des Diesseits und alles was sie im Leben je bedrückt haben mochte war daraus getilgt.
Mit einer unwilligen Handbewegung die ihren Tanzpartner beinahe zu Fall brachte wischte Vicara die unwillkommene Erinnerung fort. Wie es so ist mit den unangenehmen Dingen dieser Welt, neigt die Zeit dazu in solchen Momenten so langsam zu verstreichen, dass man den Eindruck gewinnen könnte sie würde jeden Moment stehen bleiben. Der Abend zog sich hin und Vicara verbarg sich hinter der gelangweilten Maske der Reichen, die solche Veranstaltungen gaben. Sie mögen zwar nicht was sie tun, verstehen es aber ihre Rolle des alles überstrahelnden Partymittelpunkts meisterhaft zu spielen.
Ab und an warf sie einen Blick zum Arbeitszimmer ihres Vaters. Sie konnte nicht nachvollziehen, was so wichtig sein mochte, dass er sie mit all diesen herausgeputzen liebestollen Göckeln alleine liess.
Als sie ihre Lehrerin Lady Shondara das Arbeitszimmer verlassen sah, gärte abermaliger Zorn in ihr. Shondara unterrichtete sie seit Jahren und manchmal, wenn die Zeit es zuliess, gewährte sie ihr hinter verschlossenen Türen heimliche Einblicke in die verbotene Kunst der Schattenmagie. Vicara schien ein Talent dafür zu haben und hätte so gerne viel mehr Zeit damit verbracht sich, als sich mit Mathematik und Geographie zu herumzuquälen. Lady Shondaras Mimik schien wie versteinert, als sie die Türe hinter sich schloss und raschen Schrittes davoneilte.
Vicara liess ihren aktuellen Tanzpartner ratlos zurück, als sie die rauschenden Stoffe ihres Kleides raffte und die Stufen zum Arbeitszimmer emporstieg. Beim Näherkommen hörte sie die laute, erregte Stimme ihres Vaters und kurz darauf einen erstickten Schrei. Die erhobene Faust um anzuklopfen verharrte in ihrer Bewegung, als Ardomeus ihr zuvorkam und die Türe von innen öffnete. Seine Augen waren blutunterlaufen und seltsam getrübt und auf seiner kahlrasierten Stirn verblasste soeben ein eigenartiges Symbol, als hätte ihm jemand mit einem Siegelring dorthin geschlagen. Er schien sie nicht sofort zu erkennen und es dauerte einige Wimperschläge bis sein Blick sich klärte und den gleichen Ausdruck boshafter Verschlagenheit annahm, wie sie es von ihm kannte. Vicara stand wie vom Donner gerührt vor ihm und musste sich sammeln, ehe sie sich an ihm vorbei ins Zimmer schob.
Ihr Vater stand, ihr mit dem Rücken zugekehrt am Fenster und sah in die Nacht hinaus, als hinge er seinen geschäftslastigen Gedanken nach.
"Vater...", setzte sie an. Victor Syranos drehte sich zu ihr um, doch bevor auch nur ein Wort seine Lippen verlassen konnte, klirrte die Fensterscheibe hinter ihm und die Spitze eines Pfeiles ragte aus seiner Brust.
Einen Bruchteil von Sekunden blieb sein Blick an seiner Tochter haften und ein dünnes, rotes Rinnsal entfloh seinem Mundwinkel. Dann sackte er zu Boden.
Vicara hörte sich schreien. Markerschütternd drang ihr Schrei in alle Winkel und Ecken des Anwesens, als sie aus dem Zimmer stolperte. Die Menschen, die zuvor noch getanzt hatten, rannten nun panisch durch den Ballsaal, die Vorhänge brannten lichterloh, und jede Seele mochte angstvoll erahnen, dass niemand entkommen würde.
Mit blankem Entsetzen starrte Vicara auf den Scherbenhaufen all ihrer Selbstverständlichkeiten, dann fühlte sie einen stechenden Schmerz an ihrem Hinterkopf und fiel in dunkle Umnachtung.
Sie erwachte mit einem Gefühl der Geborgenheit, das man empfindet wenn man ausgeschlafen zwischen seidenweichen Kissen von einem morgentlichen Sonnenstrahl geweckt wird. Doch als Vicara sich dazu entschloss die Augen zu öffnen, war es dunkel um sie herum. Ihre Finger ertasteten einen hölzernen Rahmen um ihr enges Lagerstatt und der Schreck der Erkenntnis, sich nicht im eigenen Bett zu befinden veranlasste sie dazu sich ruckartig aufzusetzen.
"Ah Herrin, ihr seid erwacht...erwacht...!", vernahm sie eine vertraute Stimme. Ihre Augen gewöhnten sich ganz allmählich an das Dunkel und sie erkannte die einprägsamen Konturen Ardomeus, der gemessenen Schrittes auf sie zuging. Im ersten Eifer ihres hochfahrenden Wesens, wollte sie ihn anherrschen, was er hier zu suchen habe, doch dann stand er vor ihr und sein Anblick verschlug ihr die Sprache. Verschwommene Erinnerungsfetzen drangen in ihr Bewusstsein und ihre Finger krallten sich unwillkürlich ins Holz. Was war geschehen? Wo war sie hier? Ihr panischer Blick flog im Raum umher, wie eine Motte. Dunkles Gemäuer umgab sie, es roch modrig und eine Stimme tief aus ihrem Unterbewusstsein emporgestiegen, flüsterte ihr zu, dass sie sich in einer Art Mausoleum befand. Und sie saß in einem Sarg. Bei allen Heiligen! Hektisch stieg sie aus der hölzernen Kiste und atmete aus reiner Gewohnheit tief durch.
Ardomeus stand seelenruhig vor ihr und beobachtete ihr Tun mit einem schrägen Grinsen auf den blassen Lippen. Seine Augen leuchteten unheilvoll im Wettstreit mit der Leichenblässe seiner Haut.
"Ihr seid tot Herrin, tot." Eine Unzahl an Fragen schoss ihr durch den Kopf und drängte sich zu ihrer Zunge vor, wo sie aufbegehrten und erstarben. Ardomeus seuftze tief, tiefer noch als seine vornübergebeugte Körperhaltung und berichtete ihr bar jeglichen Taktgefühls, dass sie nun einen Untote, eine Verlassene sei. Tot, aber nicht leblos. Er konnte nicht ermessen wieviel Zeit vergangen sei, seit jenem verfluchten Ballabend, doch ihre kleine persönliche Welt existierte nicht mehr. Ebenso wie Lordaeron und all die Menschen die sie kannte. Im Anschluss an die kalte, erbarmungslose Dusche der Fakten, liess er sie mit all ihren lärmenden Gedanken allein.
Vicara setzte sich auf die Stufen und stützte ihr Gesicht in die Hände. Etwas sagte ihr, dass sie nun weinen sollte, dass es natürlich wäre jetzt zu weinen, doch aus irgendeinem widernatürlichen Grund konnte sie es nicht. Es war, als wäre eine Barriere aus Stacheldraht um ihr Herz geschlungen, die den letzten Stich, der die inneren Schleussen öffnen würde, nicht hindurchliess.
In dem Gemäuer war es kalt, doch sie fror nicht als sie den Blick schweifen liess. Als Kind und noch Jahre danach, hatte sie sich vor der Dunkelheit gefürchtet, doch nun war sie beinahe tröstlich. Die Schatten verbargen was das Auge nicht zu sehen gewillt war und auch sie selbst.
Die Fetzen ihres weissen Ballkleides schlotterten um ihren hageren Leib und durch einen Riss erspähte sie das eingenähte Täschchen im Innenfutter. Sie kramte darin und fand neben einem goldenen Kamm einen ebenso kleinen Spiegel. Sie sah hinein und erstarrte.
Das Antlitz ihrer Mutter starrte aus dem Spiegel zurück. Vicara warf ihn mit einem Aufschrei von sich. An der Mauer zerschellte das Kleinod zu unzähligen Splittern. Aufgebracht stampfte sie mit geballten Fäusten in dem kleinen Mausoleum auf und ab und innere Unruhe stieg in ihr auf, wie glühendes Magma ehe der Druck einen Vulkan zum Ausbruch brachte.
Als Ardomeus zurückkehrte erwartete sie ihn bereits.
"Herrin, " Er verbeugte sich übertrieben tief. ,Speichellecker!', schoss es ihr durch den Kopf.
"Ich erstatte Bericht, Bericht,... Cynrahel irrt ziellos umher und sucht nach ihrem Gatten, Gatten... Und ich hörte Gerüchte, dass auch Lady Shondara wiedererwacht sei....Nicht viele sind zurückgekehrt, jaja...nicht viele.", fügte er an.
Vicara fragte sich, warum er nicht längst die Chance ergriffen hatte und sich ihrer Gesellschaft entledigte, solange es ihm möglich war. Im Licht der Fackel, die er hielt, glaubte sie lodernden Hass in seinen Augen zu erkennen und erahnte im selben Augenblick den Abdruck des Siegels auf seiner kalkweissen Stirn.
Vater was hast du getan? Die Zusammenhänge erschlossen sich ihr stückweise, wie die Teile eines Puzzles. Ob Zufall oder nicht, ihr sollte es gelegen kommen.
"Führe mich zu Ihnen!"
Als sie die steinernen Stufen emporstiegen, fuhr sich Vicara durchs strähnige Haar und ihre Finger erfühlten eine verklebte Stelle an ihrem Hinterkopf. Ihr starrer Blick haftete sich die Knochenkette von Ardomeus Rückgrat, welches aus dem zerschliessenen Hemd hervortrat wie die Stacheln eines Drachenrückens. Sie ballte ihre schneeweissen Finger zu Fäusten und trat ins Freie. Instinktiv kniff sie die Augen zusammen, in Erwartung blendenden Sonnenlichts, doch der Himmel war verhangen. Ein Schleier aus dunklem Grau lag über allem und gab jedem Baum, jedem Stein, jeder Wurzel etwas gespenstisches, als verberge sich hinter allem ein Schatten der wissend dahinter hervorsah.
"Folgt mir Herrin, folgt mir!", raunte Ardomeus und sie stolperte hinter ihm her, die vielfältigen Eindrücke in sich aufsaugend. Sie hätte diese Gegend kennen müssen, doch nichts war mehr wie sie es kannte, nichts war mehr rein und unberührt, sondern von Makeln behaftet, von der Seuche geküsst. Es schien ihr, als hätte die Welt ihre Unschuld verloren und sei abgetaucht in eine bizarre Parallelwelt immerwährender Dunkelheit. Die Untiefen des Daseins hatten sich nach obengekehrt und alles was einst blühte und erstrahlte war wie vom Erdboden getilgt. Und es war gut so.
Vicara empfand beinahe Dankbarkeit für den Umstand, dass sich die Welt ihrer gegenwärtigen Stimmungslage anglich.
Ein eigenartiges Geräusch, ein fauchendes Zischen, gepaart mit dem Flappen einer ledernen Pferdedecke die ausgeschüttelt wurde, liess sie herumfahren. Eine gigantische Fledermaus, grösser als Vicaras wankelmütiger Geist sie sich je hätte ausmalen können, glitt näher und riss ihr ungeheures Vampirgebiss auf, als wolle sie Vicara im Ganzen verschlingen. Aus den Augenwinkeln nahm sie das Aufblitzen widergespiegelten Mondlichts auf einer Klinge wahr und stolperte einige Schritte zurück. Ardomeus stach wie im Blutrausch auf die Bestie ein und etwas in der Art wie er sich bewegte, wie die Dolchklinge die Luft durchschnitt, veriet Vicara, dass er nicht zum ersten Male tötete. Wut keimte in ihr. Zunächst ein zartes Pflänzchen, gedieh sie im Schattengrau des Verlassenengeistes. Wovor sollte sie sich noch fürchten? Das Leben zu verlieren? War sie nun nicht selbst ein Monster das ihren ureigensten Albträümen entsprungen zu sein schien? Dunkle Wurzeln rasenden Zorns gruben sich rasant in jedweden Winkel ihres Selbst und rissen alle Barrieren ein, die sie zur Untätigkeit verdammt hatten. In ihren knochigen Fingerspitzen kribbelte es, als wäre das Leben in sie zurückgekehrt und schwarze Schatten formten sich darin, umgeben von einem unheilvollen Glühen, das sich mit einem donnernden Geräusch entlud und in die Fledermaus fuhr. Mit einem Kreischen stürzte das Untier zu Boden und empfahl sich dessen Gewürm.
Vicara sah zuerst auf das tote Tier, dann auf ihre eigenen kalkfarbenen Hände die ihr so ganz und gar fremd vorkamen. Sie spürte Ardomeus musternden Blick auf sich ruhen. Einige Momente verstrichen ohne, dass etwas geschah.
"Der Schatten gewährt den Verlassenen große Macht..., Macht, jaja.", hörte sie Ardomeus murmeln.
Macht..., Macht...,hallte es noch lange in Vicara Gedanken.
In den darauffolgenden Tagen machte Vicara die Erfahrung, dass das Dasein als Verlassene bar jeder Annehmlichkeiten war, die sie im Leben als selbstverständlich betrachtet hatte. Sie versetzte den goldenen Kamm um nicht gänzlich mittellos zu sein und suchte mit Ardomeus nach jenen wenigen Seelen unter den Verlassenen die einst in den Diensten Victor Syranos standen.
Sie trauerte ihren irdischen Gütern nach und den Zeiten in denen ihr Wort noch Einfluss auf die Leute hatte und fasste einen Entschluss:
Auch wenn nichts mehr war, wie es sein sollte, auch wenn sie alles was ihr im Leben wichtig gewesen war zurücklassen musste, weil es ihr entweder genommen worden war oder an Bedeutung verloren hatte, sie würde sich wieder nach oben kämpfen. Das Haus Syranos sollte mit Hilfe des Schattens zu neuer Größe heranwachsen. Zeit würde keine Rolle spielen, denn sie war das einzige, was sie nun im Übermaß besaß.
~Du hast mich beschworen aus dem Grab
Durch deinen Zauberwillen,
Belebtest mich mit Wollustglut -
Jetzt kannst du die Glut nicht stillen.
Preß deinen Mund an meinen Mund,
Der Menschen Odem ist göttlich!
Ich trinke dein Seele aus,
Die Toten sind unersättlich.~
[Heinrich Heine]