Zeit der Geissel
Das schlimmste ist der Hunger. Diese wilde, nicht zu kontrollierende Gier auf blutiges, zuckendes Fleisch. Wie ein Schleier überdeckt sie alles andere: das Denken, das Fühlen, das ganze Sein...ich bin nur noch Hunger. Und um diesen Hunger noch Zunder zu geben, ist diese ständig tuschelnde Stimme da. Wie ein feines Gespinst im Hinterkopf flüstert es. Verführerisch, süß und giftig zugleich, umwebt es diesen Hunger und gibt ihm eine Richtung, einen Namen, ein Ziel. Unterdrückt von dem Hunger und gefesselt von der Stimme liegt der Rest meines Selbst in Ketten. Nur hin und wieder habe ich Kraft genug den Schleier vor meinen Augen für kurze Momente zu heben, und mit Entsetzten zu sehen was meine Hände unter dem Drängen der Stimme und getrieben vom Hunger anrichten...ihnen Einhalt gebieten kann ich nicht. Wie lange schon herrscht diese zustand an? Seit wann bin ich eine willenlose Bestie der Geissel? Die süße Stimme umgarnt mich erneut und ich höre enfehrnt das entsetzte Schreien eines Menschen.
Als ich den wieder die Kraft habe den Schleier zu zerreissen beuge ich mich über den Körper eines Menschen, sein Blut verschmiert meine Hände und ist am Boden , den Wänden ,den umgestürzten und zerstörten Möbel in dieser kleinen Hütte. In der Tür stehen Männer. Ein netz wird geworfen, ich verfange mich in den Maschen..die süße Stimme zischt und faucht – und der Schleier senkt sich wieder.
Stimmen..sie reden über mich! Ich kenne sie! Mein Bruder, meine Tante- die Priesterin, Männer aus dem Dorf. „er muß getötet werden!“ „Schlagt ihm den Kopf ab!“ „er hat ihm das Herz mit der bloßen Hand rausgerissen“ „er ist doch einer von uns...“...ich will was sagen, aber mehr als ein Krächzen wird es nicht - warum bin ich ans Bett gefesselt? Gesichter die ich kenne seit ich ein Kind war. Sie beugt sich zu mir herab. Sanft ist ihre Stimme, als sie mich mit meinem Namen anspricht. Ihr Glaube an die Götter ist ihr Schild..ich versuche ihren Schild zu meinem zu machen, und mich gegen die Stimme im meinem Kopf, die flüstert – fordert- zu erheben..aber der Hunger übernimmt die Kontrolle..ich spüre wie sich meine Hand zur Faust ballt und beginnt gegen die Fessel am Handgelenk zu stemmen..ich will sie warnen „komm nicht zu nah..lauf weg“ aber es kommt nur ein Krächzen, das in ein wildem Knurren endet. Die Fessel am Handgelenk schneidet ins Fleisch..ich spüre das Blut am Handgelenk - aber keinen schmerz...und ich rieche es. Es gibt dem Hunger neue Kraft - und sie ist so nah..ihre Kehle so ungeschütz. Dann reißt die Fessel und ich schreie vor Angst , Panik und Entsetzten..doch aus meiner Kehle kommt nur wütendes, hungriges Knurren..das Blut tut gut, schenkt kraft, und ich höre die Stimme flüstern..ich muss mehr haben..die letzte Fessel zerreißt als der Mann - mein bruder- versucht mit einem Stuhl auf mich einzuschlagen und von der Kehle der Priesterin zu lösen...im Blutrausch und Heißhunger versinke ich in den tiefen, und die Bestie übernimmt vollends die Kontrolle. Ich bäume mich auf ..ich zerreise die Fesseln der Stimme, und habe für einen Augenblick -einen fürchterlichen, ewig scheinenden Augenblick- die volle Kontrolle, und starre auf die Gedärme meines Bruders in meiner Hand, den Leichnam der Priesterin - meiner Tante und das viele Blut überall..dann setzt das flüstern wieder ein und erstickt meinem Schrei mit seinem flüstern..der Schleier senkt sich und reißt mich in eine Dunkelheit in der ich mit meinem Grauen alleine bleibe...