[AH] Die Schrecken der Vergangenheit (vorl. Titel)
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Helmwige
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Thema: [AH] Die Schrecken der Vergangenheit (vorl. Titel) Do Jun 10, 2010 12:30 pm
Eine kleine Geschichte über meinen alten Charakter Khanussu und seine zweite Frau Patala, die an einem schönen Frühsommermorgen mit dem Schiff in Southshore eintreffen…
1. Kapitel - Heimat, mein -
Khanussu und Patala Miller - er hellhäutig, lange, fast graue Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden, gross, behäbig, eher schlank, aber mit einem kleinen Bauch, sie dunkel, mit einem roten Wuschelkopf, klein, drahtig und wieselflink - standen auf dem Kai inmitten des Trubels, den jede Ankunft eines Schiffes in der kleinen Stadt Southshore auslöste. Khanussu atmete tief ein und sah seine Frau lächelnd an, die ihm ihrerseits ein Schmunzeln schenkte. Patala wusste, was Khanussu in diesem Moment empfinden musste. Dies war seine Heimat. Zu mindestens der südlichste Zipfel davon. Sein wirkliches Zuhause lag viele Meilen weiter nördlich, in den verseuchten Gebieten, die man nun die Pestländer nannte. Aber Southshore kam dem, was Khanussu Heimat nannte, noch am nächsten. Nördlich von hier gab es nur noch einige Bauernhöfe, die zwar erfolgreich waren, aber wegen der Bedrohung durch die Untoten in ständiger Alarmbereitschaft standen. Kein sehr angenehmes Leben.
Khanussus stumme Andacht wurde von Schewardnadse, dem Papagei, der fast immer auf Patalas Schulter hockte und sie überall hin begleitete, mit einem lauten Krächzen harsch unterbrochen. Khanussu kniff verärgert die Augen zusammen und begann stetig die Strasse, die zur Stadt hinauf führte, nach oben zu stapfen. Patala folgte ihm wie üblich mit leichtem, flinken Schritt. Er bevorzugte beim Gehen das linke Bein, ein Überbleibsel seiner schweren Verletzung an der rechten Hüfte, die er vor drei Jahren im Dienste des Scharlachroten Kreuzzuges hier, in Southshore, erhalten hatte. Wenn ihm in diesem Moment nicht ein Paladin des Kreuzzuges zur Seite gestanden und geholfen hätte, wäre Khanussu verblutet oder gleich aufgespiesst worden. Der Paladin hatte den Feind, gewöhnliche, menschliche Banditen, getötet und den Rest vertrieben. Dann hatte er sich schnell Khanussus Verletzung zugewandt, um sie mit der Macht des Heiligen Lichtes zu mindestens notdürftig zu versorgen, bis sich ein Feldarzt der Sache hatte annehmen können. Khanussu hatte ein tiefes Gefühl des Dankes dem Paladin und dem heiligen Licht gegenüber empfunden. Sein Beten war noch inbrünstiger, sein Glaube noch fester geworden. Nach der Ankunft des Kreuzzuges in Caer Darrow hatte er leider nicht mehr mit dem Schwert der gerechten Sache, die räudigen Madensäcke aus seiner Heimat zu vertreiben, dienen können. Seine Verletzung war zu schwer gewesen. Deswegen hatte er sich der Heilkunde verschrieben. Er hatte ausgeholfen, wo er konnte und hatte so viel gelernt, wie in seinen Schädel hinein ging. Er hatte seine Aufgabe gut gemacht.
Khanussus Gesicht verdunkelte sich, als diese Erinnerungen in ihm hochkamen. Schlussendlich war die 7. Legion des Scharlachroten Kreuzzuges, unter dem Kommando von Lord Iskarien Lighthammer, aus Caer Darrow vertrieben worden. Es war ein schmachvoller Rückzug gewesen, ausgelöst durch mangelnden Rückhalt und Nachschub und zu hohen Verlusten.
Patala berührte sanft Khanussus Arm und sah ihn fragend an. Er schüttelte gequält lächelnd den Kopf, legte seine Hand auf die ihre und versuchte die Erinnerung zu verbannen.
"Es ist nichts, Schatz. Alte Erinnerungen… nichts weiter."
Patala nickte beruhigend. Sie wusste, es hatte keinen Zweck Khanussu weiter drängen zu wollen, wenn er nicht reden wollte. Er konnte verdammt stur sein. Khanussu hielt zielstrebig auf die Taverne zu, die, wie er hoffte, ihnen eine Übernachtungsmöglichkeit bieten konnte. Er verhandelte schnell mit dem Wirt der Schänke. Sie hatten Glück, es war noch ein Zimmer frei. Der Wirt führte sie, mit einer Kerze in der Hand, die schummriges Licht verbreitete, nach oben. Wortlos öffnete er die Holztür und machte eine einladende Geste. Das Zimmer war klein, aber sauber. Khanussu dankte dem Wirt und lies sich seufzend auf das Bett fallen, nach dem dieser die Tür wieder geschlossen hatte. Eine Grimasse ziehend, rieb er sich mit seiner Hand die rechte Hüfte und den Oberschenkel. Patala warf einen kurzen Blick zu ihm hinüber, während sie ihre Bündel in dem einfachen Schrank verstaute.
"Deine Verletzung wieder, Khan?"
Khanussu nickte grimmig und rieb weiter sein Bein.
"Ich werde Dich nachher etwas massieren. Ruh' Dich erst mal aus. Bist Du sicher, dass Du die Wanderung trotzdem antreten willst?"
Patala warf einen vielsagenden Blick auf Khanussus Bein. Dieser schnaubte nur trotzig.
"Natürlich werden wir das! Ich habe Dir versprochen, dass ich Dir meine Heimat zeigen werde, und dann tue ich das auch!"
Patala wandte sich ab und rollte mit den Augen. Es hatte keinen Sinn mit ihm zu diskutieren, wenn er zornig wurde.
"Natürlich, Liebling. Ruh' Dich aus.", sagte sie mit sanfter Stimme. Khanussu nickte stumm und lies sich seufzend auf das Bett zurückfallen. Er würde nicht versagen. Er würde das durchziehen. Das hatte er sich geschworen. Aber nicht heute. Morgen… morgen war auch noch ein Tag.
Helmwige
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Thema: Re: [AH] Die Schrecken der Vergangenheit (vorl. Titel) Do Jun 10, 2010 12:30 pm
2. Kapitel - Geduld und Disziplin -
Henrietta Miller wartete geduldig, während ihr Meister, Apotheker Findiggle, durch sein Mikroskop nacheinander die verschiedenen Versuchsreihen betrachtete. Er war sehr methodisch, und unbarmherzig, wenn es um offensichtliche Fehler ging. Er war aber auch ein sehr guter Lehrer, der sich auf das Wesentliche konzentrieren und schnell, aber verständlich an seine Lehrlinge weiterreichen konnte.
"Adäquat." Findiggles Eierkopf wippte mehrmals auf und ab wie ein Gummiball. Henrietta seufzte innerlich. Wenn Findiggle etwas "adäquat" fand, dann war er so zufrieden, wie man es als Untoter nur sein konnte.
"Du hast ein Auge für's Detail, Henrietta.", ein hässliches Kichern folgte. Der Alte überschlug sich ja heute förmlich mit seinem Lob. Nun, Henrietta sollte es recht sein. Sie hatte hart gearbeitet. Sie hatte nächtelang alte Wälzer studiert. Sie hatte einen Murloc nach dem Anderen auseinander genommen und in schleimigen Innereien herumgewühlt. Was sollte man auch sonst tun, wenn man nicht mehr schlafen konnte, und keine Mühle mehr betreiben musste? Ausserdem hatte sie sich schon immer für Kräuter interessiert. Wenn auch nicht unbedingt für Murloc-Innereien. Henrietta verbeugte sich knapp vor Findiggle.
"Danke, Meister."
Findiggle klatschte in die Hände.
"Sehr gut, dann wollen wir mal sehen, was wir mit dieser Versuchsreihe anfangen. Wäre ja jammerschade das gute Zeugs fortzuschmeissen."
Findiggle nahm sich das Erste aus der Reihe von mit verschiedenen Mixturen gefüllten Schälchen und dackelte eckig und steif zu einem hölzernen Badezuber, der in der Mitte seines Labors stand. Dieser war zu zwei Drittel mit Wasser gefüllt. Findiggle leerte den Inhalt des Schälchens in den Zuber und dozierte dabei:
"Wie du weisst, Henrietta, ist der Zerfallsprozess bei uns Verlassenen sehr verlangsamt, aber nicht aufgehoben."
Er schnaubte ungehalten. Seine zerschlissenen Nasenflügel flatterten. Überhaupt konnte man meinen, dass sich an diesem Verlassenen nicht mehr viel im originalen Zustand befand. Seine Knochen schienen mehrmals gebrochen und wieder schief zusammengesetzt worden zu sein. Sein Fleisch durchlief alle Farbschattierungen, die verfaultes Fleisch annehmen konnte, und das linke Auge hing halb aus der dazugehörigen Höhle. Seine rechte Hand war grösser als seine linke (und Findiggle war bestimmt nicht mir ihr geboren worden). Henrietta sah dagegen noch fast normal aus, wenn man von der bleichen Haut, die an vielen Stellen aufgerissen war, und dem, von der rechten Schulter ausgehend, gespaltenen Oberkörper absah, den die Apotheker mühselig wieder zusammen geflickt hatten. Unter ihrer Kleidung blieb diese Verletzung aber verborgen, so das Henrietta wie eine grosse, stattliche, mit üppigen Rundungen versehene… tote Frau aussah. Aber immerhin nicht wie ein zusammengestückeltes Monster, wie Findiggle.
"Man könnte meinen, dass der Lichkönig die Sache hätte richtig angehen können. Aber na ja…"
Findiggle zuckte steif mit den knochigen Schultern und winkte Henrietta herrisch zu sich.
"Rühr das mal um… Wenn wir mit dieser Rezeptur Erfolg haben und den Verwesungsprozess aufhalten können, werden die Verlassenen praktisch unsterblich sein! Die Dunkle Herrin setzt deswegen grosse Hoffnungen in meine… unsere Forschung."
Findiggle nickte wieder heftig. Henrietta hob die Augenbrauen. Dies war das erste Mal, dass der alte Knochensack ihren Anteil gewürdigt hatte. Sie nahm es mit einem kühlen Nicken zur Kenntnis. Sie war eine Verlassene, eine lebende Tote. Freude hatte in ihrem Dasein keinen Platz mehr. Aber ein kleines Gefühl der Befriedigung stahl sich trotzdem in ihr totes Herz. Das Gefühl, gute Arbeit geleistet zu haben. Das Gefühl, ihren Teil getan zu haben.
Für Sylvanas! Für die Verlassenen!
Helmwige
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Thema: Re: [AH] Die Schrecken der Vergangenheit (vorl. Titel) Do Jun 10, 2010 12:31 pm
3. Kapitel - Es ist ein weiter Weg… -
Nach dem sich Khanussu bei dem örtlichen Magistrat vorgestellt hatte - dem Licht sei Dank hatte der Mann keine Erinnerung mehr an Khanussu. Die Roten waren im Moment nirgends wohl gelitten - kam der nächste Morgen viel zu schnell. Patala war schon in den frühen Morgenstunden aufgestanden, um die "Örtlichkeiten auszukundschaften", wie sie es nannte. Dies beschränkte sich mehr oder weniger darauf, den Fischern dabei zuzusehen, wie sie ihre Netze ordentlich zusammen legten, um dann noch im Morgengrauen mit ihren kleinen, bunten Booten auszulaufen. Ansonsten war die Umgebung um Southshore - Patala nannte es verdächtig - ruhig. Es schien, als ob die örtliche Miliz und das kleine Kontingent des Heeres die Sache im Griff hatten. Der Magistrat hatte gegenüber Khanussu Andeutungen gemacht, das schon seit Monaten kein Überfall mehr passiert war. Die Verlassenen und die Banditen des Syndikates hatten nichts von sich sehen lassen. Der Magistrat hatte laut - und etwas gekünstelt - gelacht. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätten die Verlassenen und das Syndikat sich ruhig gegenseitig abschlachten können. "Würd' uns'n Haufen Arbeit ersparen, aye?" Khanussu hatte freundlich gelächelt, und war mit seiner Reiseerlaubnis abgezogen.
Nun lag er im Bett, sägte wie ein Orc-Peon, und war absolut nicht gewillt, den Bemühungen der Sonne, deren frühmorgendliche Strahlen seine Nase kitzelten, Rechnung zu tragen und aufzuwachen. Patala stand lächelnd in der Tür und betrachtete zärtlich ihren Mann. Offensichtlich war die Karaffe Hügellandwein, die sie gestern Abend in der Schenke zusammen geleert hatten, etwas zuviel für ihn gewesen. Schewardnadse beobachte von erhöhter Position aus (Patalas Schulter) die Baumzerstörung und entschied, dass es an der Zeit war, diese zu beenden. Er lies ein markerschütterndes Kreischen los. Grunzend schüttelte Khanussu sich und flatterte mit den Augenlidern. "Hrm?"
"Zeit zum Aufstehen, grosser Held." Patala grinste verschmitzt. "Hrm…" Khanussu krabbelt mühselig aus dem Bett, beim Aufstehen kurz das Gesicht verziehend und das Bein reibend.
"Mann,hab'vergess'n,wiestarkdasZeugsis'…"
Khanussu beugte sich nach vorne und hielt sich mit beiden Händen den Kopf. Er merkte sofort, das dies keine gute Idee gewesen war, da er sein Gleichgewicht verlor und nach vorne kippte. Glücklicherweise war das Zimmer klein, so das er sich an der Wand abstützen konnte.
"Ichbrauch'nKaffee…", murmelte er kaum verständlich. Dann sah er aus rotumrandeten Augen den Papagei an.
"'chdreh'mBiestir'endwannd'Gurgelrum…"
Khanussu hustete kurz wie eine rostige Gießkanne und streckte seine lange Gestalt, was zur Folge hatte, dass er mit dem Kopf an die niedrige Decke stiess. Khanussu knurrte und fluchte herzhaft. "Mussma'…" Er verschwand durch die Tür. Patala folgte ihm langsam und ging in die Schankstube, wo sie beim Wirt ein herzhaftes Frühstück bestellte.
Nach dem sich Khanussu erleichtert und Wasser in sein Gesicht gespritzt hatte, kam er mit unsicherem Schritt in die Schänke, um sich seufzend an Patalas Tisch niederzulassen. Er machte sich gleich über den Kaffee und das Rührei mit Speck her und eine Weile hörte man nur das Malmen der Kiefer. Schliesslich lehnte er sich mit einem zufriedenen Seufzen zurück und hielt sich den Bauch. Er sah nun wieder beinahe menschlich aus. Patala musste innerlich kichern.
"Nun, Schatz? Bist Du wieder ansprechbar?"
Khanussu grunzte zustimmend und betrachtete seine Frau liebevoll.
"Zeit, um aufzubrechen, was meinst Du?"
Khanussu sah Patala fragend an. Diese nickte.
"Ich geh' schnell nach oben und bereite unser Zeugs vor. Bezahl' Du mal den Wirt."
Khanussu nickte und stieg steif von der Bank auf. Er stapfte zum Wirt, während Patala schnell nach oben ging um ihre Ausrüstung vorzubereiten. Leichte, aber wetter- und reitfeste Kleidung, feste Stiefel, sowie Khanussus altes Schwert und ihren frischgeschärften Dolch. Alles sah soweit gut aus. Khanussu kam in das Zimmer, hauchte seiner Frau einen Kuss auf die Wange und begann sich methodisch anzuziehen.
"Wir müssen schnell machen, der Wirt braucht das Zimmer schon wieder für so'n hohen Kerl.", sagte Khan während er sich die Stiefel anzog.
"Irgendein Orden, die heute Morgen mit ihrem eigenen Schiff angekommen sind. Keine Ahnung…"
Khanussu und Patala beeilten sich, ohne die Sorgfalt zu vernachlässigen und standen in wenigen Minuten auf der Strasse. Gerade noch rechtzeitig um zu sehen, wie die Neuankömmlinge damit beschäftigt waren, ihre Ausrüstung von dem Schiff zu entladen. Khanussu verzog kurz das Gesicht, um sich dann Patala zuzuwenden.
"Wir müssen uns beeilen, damit diese Leute uns nicht die letzten Pferde wegschnappen."
Patala und Khan eilten zum Stall. Dem Licht sei Dank waren noch genug Pferde vorhanden. Khanussu suchte sich eine schöne braunweisse Stute aus, während Patala einen Rappen erwählte. Während Khanussu sein Pferd sattelte, sah er kopfschüttelnd zu Patala hinüber, die versuchte mit dem rassigen Hengst fertig zu werden. Schewardnadse war die Sache wohl auch nicht sehr geheuer, er flog auf und landete auf einem Dachbalken des Pferdestalles.
"Bin ich Dir nicht wild genug, Liebling?"
Patala warf Khan einen finsteren Blick zu, während sie den Hengst mit einem Ruck unter Kontrolle brachte. Sie lies ihn elegant eine Runde traben, um ihn dann kurz vor Khanussu zum Stehen zu bringen. Man musste Khanussu anrechnen, dass er es schaffte nicht zusammen zu zucken.
"Hast Du was gesagt… Liebling?"
Der Ton war schnippisch, die Geste eindeutig. Die nächste Nacht würde es keinen warmen Körper geben, an den er sich kuscheln konnte. Khan seufzte und fügte sich in sein unvermeidliches Schicksal. Er stieg ungelenk auf seine Stute (nicht zum ersten Male verfluchte er dabei seine steife Hüfte) und presste seine Hacke in ihre Flanke. Die Stute schnaubte, und das ungleiche Paar ritt aus der Stadt hinaus und auf die staubige Landstrasse. Schewardnadse flatterte zeternd hinter ihnen her.
Helmwige
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Thema: Re: [AH] Die Schrecken der Vergangenheit (vorl. Titel) Do Jun 10, 2010 12:32 pm
4. Kapitel - Wir haben nicht ewig Zeit! -
Henrietta Miller verzog missmutig ihr Gesicht. Die letzte Versuchsreihe war unbrauchbar gewesen. Nun ja, nicht ganz. Man konnte das Zeug gut als Poliermittel gebrauchen, aber nicht um die Verwesung bei Verlassenen aufzuhalten. Findiggle hatte gegrummelt und war mit der Bemerkung, dass er nicht gestört werden wolle, in seine Privatkammer abgezogen. Er ging noch gebeugter, als er es üblicherweise schon tat. Man hatte dem Alten ansehen können, dass ihn dieser Fehlschlag getroffen hatte. Er hatte Henrietta das Aufräumen überlassen und das tat sie nun gewissenhaft.
Nun ja, aus Fehlern lernte man. Geduld und Disziplin. Das Übliche halt. Dann halt noch einmal von vorne. Sie war gerade dabei die Probeschüsseln zu reinigen, als Findiggle plötzlich die Tür von seiner Kammer aufriss und mit energischem Gesichtsausdruck auf Henrietta zu wackelte. Diese war vollkommen überrumpelt. Sie hörte auf mit dem Lappen die Schüssel zu reinigen. Findiggles Kiefer mahlte. Henrietta hatte keinerlei Ahnung, was sie nun wieder falsch gemacht hatte.
"Fenniskraut!"
Findiggle streckte beide krumme Arme aus. Henrietta entspannte sich. Der Alte war schon merkwürdig, wenn er an neuen Ideen arbeitete, und er hatte es gerade wieder bewiesen.
"Fenniskraut, Meister? Das… eh… kenne ich gar nicht."
Findiggle lachte gehässig krächzend.
"Das wundert mich nicht. Ich fand es in einem alten Alchemiewälzer, den ich als Lehrling in Dalaran lesen musste. Dachte damals, dass ich mir das nie würde behalten können."
Der alte Eierkopf kicherte wie ein Esel und tippte sich mit einem knochigen Zeigefinger an seinen krummen Schädel.
"Aber diese alte Rübe vergisst so schnell nichts! Nun, dieses Kraut hat einige merkwürdige Eigenschaften. Eine davon ist, dass es konserviert. Die Bäcker und Bierbrauer in Dalaran benutzten es um ihre Produkte haltbarer zu machen. Das Problem an dem Kraut ist, dass… "
Der Alte begann an den Fingern abzuzählen:
"Erstens: es nur an ganz bestimmten Orten wächst. Zweitens: man eine ganz bestimmte, magische Methode anwenden muss, um den Wirkstoff aus den Blättern zu extrahieren. Das sind die Gründe, warum es ausserhalb von Dalaran nie grossartige Verbreitung gefunden hat."
Der Alte klatschte in die Hände und rieb sie sich anschliessend. Wenn er nicht ganz und gar offensichtlich eine wandelnde Leiche gewesen wäre, hätte Henrietta angenommen, dass er sich freue. So aber war das natürlich nicht möglich. Vielleicht war es einfach eine alte Angewohnheit, die er nie abgelegt hatte.
"So, Henrietta. Dieses Kraut wird unsere Forschung auf eine neue Basis stellen. Du wirst sofort nach Tarrens Mühle reisen, und dich dort bei Apotheker Lydon melden. Gib ihm dieses Schreiben."
Er hielt der verdatterten Henrietta einen versiegelten Brief hin, den diese rasch entgegen nahm und in ihrer grossen Tasche, die sie stets bei sich trug, verstaute.
"Er wird Dir Ratschläge geben können, wo Du diese Pflanze finden kannst. Nun los, los! Wir haben nicht ewig Zeit!"
Mit diesen Worten scheuchte er Henrietta aus ihrem gemeinsamen Labor. Noch ehe sie es sich versah, war sie auf dem Weg zum inneren Ring. Um sie herum das Getümmel der Verlassenen, die ihrem Tage-(und Nacht)werk nachgingen. Das Ganze erinnerte Henrietta mehr denn je an einen Ameisenhaufen. Selbst die missmutig herumstehenden oder patrouillierenden Kor'kron Wachen waren ein Teil dieses organisierten Chaos. Teile einer Maschine, die nie stillstand. Jeder hier war ein Rädchen in dieser Maschine. Manche waren wichtig. Wenn sie ausfielen, stockte das Räderwerk. Aber die Meisten waren austauschbar. Es würde die Maschine nur wenig beeinträchtigen, wenn sie kaputt gehen würden. Nur wenn es viele auf einmal wären, würde sie anfangen zu stottern. Insofern waren auch diese Rädchen wichtig. Sie alle hier hielten den Mechanismus Undercity am laufen.
Henrietta war eines dieser Rädchen. Ein wichtiges? Sie glaubte es nicht. Es war ihr auch gleichgültig. Am Tag ihrer Befreiung von der Geißel hatte sie der Dunklen Fürstin Sylvanas Treue geschworen. Seitdem arbeitete sie unermüdlich daran mit, den Verlassenen einen Platz in dieser Welt zu sichern. Sie hasste die Menschen eigentlich nicht für ihren Verrat an den Verlassenen, aber sie misstraute ihnen zutiefst. Das Heilige Licht war ihr schon immer gleichgültig gewesen, so fand sie auch keinen Zugang zu der neuen Religion der Schatten. Schon mehre Male war sie von einer der Priesterinnen des Kultes besucht worden, einer gewissen Helmwige Akindor. Obwohl die Frau sich ausgiebig um ihre Gläubigen kümmerte, war der Funke nie übergesprungen. Henrietta wischte diese Gedanken wie eine lästige Fliege beiseite. Sie hatte zu arbeiten, und sie hatte ein neues Ziel!
Endlich erreichte sie den inneren Ring und den Flugmeister. Keine fünf Minuten später sass sie auf einer Fledermaus, die sie flink wie der Wind durch die dunklen Korridore von Undercity in den trüben Himmel von Tirisfal trug.
Helmwige
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Thema: Re: [AH] Die Schrecken der Vergangenheit (vorl. Titel) Fr Jun 11, 2010 10:59 pm
5. Kapitel - Schrecken der Vergangenheit -
Seit drei Tagen ritten Khanussu und Patala auf ihren Pferden durch die Weiten des Hügellandes. Sie machten oft Halt, stiegen ab um die Pferde in Ruhe an einem Bach trinken zu lassen, und erkundeten zu Fuss die üppige Landschaft. Während ihres Rittes begegneten ihnen kaum Menschen, und nur wenige Wildtiere. Aus der Entfernung hatten sie einmal eine Bärenmutter mit ihren zwei Jungen gesehen, die es sich auf einer Waldlichtung gemütlich gemacht hatten. Während die Mutter in der Sonne döste, tollten die zwei Jungbären um sie herum. Patala und Khanussu hielten respektvollen Abstand und beobachteten die Bären durch ein kleines Fernrohr, welches Patala vorsorglich eingepackt hatte.
Khanussu hatte ihre Route so geplant, das sie jeden Abend an einem Bauernhof ankamen. Die Bauern des Hügellandes waren vorsichtige, aber im Regelfall freundliche Gesellen, die ihnen für ein kleines Entgelt gerne ein Abendessen, sowie einen Platz im Heu zur Verfügung stellten. Auch das Bier wurde gerne beim Austausch der Neuigkeiten geteilt, so das die Zeit nur so dahinflog, und die beiden froh waren, wenn sie sich endlich schlafen legen konnten.
Die ganze Zeit über hatten sie schönes Wetter gehabt, aber am Morgen des vierten Tage lag dichter Nebel in der Luft, und schwere Wolken bedeckten den Himmel. Noch regnete es nicht, aber die Bäuerin - eine mütterliche Frau, die Patala eine doppelte Portion hingestellt hatte, mit der Bemerkung, dass "de lütte Dern noch'n büsch'n zule'n könn't!" - deutete an, dass der Regen jeden Moment loslegen könnte. Khanussu entschied sich nach Rücksprache mit Patala trotzdem zum Aufbruch, da er ihr unbedingt die Ruinen von Burg Durnholde zeigen wollte.
Dicht gepackt in gewachstes Leder ritten sie los. Die Landschaft um sie herum bekam durch den Nebel etwas Verwunschenes. Es war sehr ruhig. Nur selten durchbrach der Gesang eines Vogels die Stille. Als sie an einer besonders gespenstigen Baumgruppe vorbei wollten, brach aus dieser plötzlich eine riesige Spinne hervor und stürzte sich auf Patalas Rappen. Glücklicherweise war der Hengst so reaktionsschnell wie wehrhaft. Er keilte aus und zertrümmerte mit einen Hinterhuf das "Gesicht" der Spinne, was sie orientierungs- und steuerlos wild hin und her rennen lies. Patala und Khanussu gaben ihren aufgeschreckten Pferden die Sporen und ritten im gestreckten Galopp davon. Erst nach einer Weile kamen Mensch und Pferd wieder zur Ruhe. Sie sahen sich angespannt an und brachen dann in ein (leicht hysterisches) Lachen aus. Khanussu erklärte Patala, dass diese Spinne wohl durch irgendein Experiment der Untoten so gross geworden war. Natürlich wäre das jedenfalls nicht. Nach dem Angriff der Spinne wurden sie sehr viel vorsichtiger. Es war klar, dass sie in ein Gebiet gekommen waren, welches unter den Auswirkungen der Untoten litt.
Gegen Nachmittag begann sich der Nebel wider Erwarten zu lichten und blieb nur an gewissen Stellen hartnäckig kleben. Auch die Wolkendecke brach an manchen Stellen auf, und die Sonne entzauberte die Landschaft. Die Vögel fingen wieder an zu zwitschern. Die Welt des Übernatürlichen schien in weite Ferne gerückt zu sein. Khanussu und Patala waren den ganzen Morgen geritten und wurden müde. Sie machten an einer ungewöhnlichen Gruppe von abgestorbenen Bäumen halt und stiegen ab. Um die vom Reiten steifen Gelenke zu lockern, wanderten sie ziellos umher. Patala entdeckte eine wunderschöne Blume, die sie noch nie vorher gesehen hatte und beugte sich nieder um sie näher zu betrachten. Khanussu war nicht in Blumenlaune, die toten Bäume hatten sein Interesse geweckt, er nutzte die Gelegenheit um das merkwürdige Wäldchen, in dem immer noch der Nebel hing, zu betreten. Er war noch nicht weit gekommen, als er Fetzen von wortlosem Gesang zu hören begann. Der Gesang wurde zusammenhängender, als er sich der Quelle näherte. Khanussus Herz begann sich zu verkrampfen. Er kannte dieses Lied. Es konnte nicht sein… Eine selbst nach all den Jahren nur allzu vertraute Gestalt stand mit dem Rücken gebückt zu ihm und war damit beschäftigt, genau die Pflanzen mit den merkwürdigen Blüten zu ernten, die vor dem Wald Patalas Interesse geweckt hatten. In diesem merkwürdigen, toten Wald wuchsen sie viel zahlreicher als draussen.
Khanussu schwankte. Sein Mund war plötzlich ausgetrocknet. Sein Blick hing unverwandt an der rundlichen Gestalt, die nichts ahnend mit ihrer kleinen Sichel das Kraut erntete und dabei das Lied sang…
Das Hochzeitslied von Khanussu und Henrietta Miller.
"Hanny…"
Khanussus Stimme krächzte, er brach zusammen. Henrietta stockte in ihrer Arbeit, richtete sich auf und drehte sich langsam um. Ihr Gesicht weiss wie der Tod. Hautfetzen hingen herunter. Verwirrt sahen ihre leuchtenden Untotenaugen Khanussu an.
"Khan…"
Khanussu Miller, ehemaliger Müller aus Darrowshire, in erster Ehe glücklich verheiratet mit Henrietta Miller, schrie seinen Schmerz in die Welt hinaus.
Zuletzt von Helmwige am So Jun 13, 2010 11:52 am bearbeitet; insgesamt 1-mal bearbeitet
Helmwige
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Thema: Re: [AH] Die Schrecken der Vergangenheit (vorl. Titel) So Jun 13, 2010 11:52 am
6. Kapitel - "Apotheker Lydon, nehme ich an?" -
Die Fledermaus war auf direktem Wege nach Tarrens Mühle geflogen. Dazu hatte sie mehrere Stunden gebraucht. Jetzt hing sie erschöpft und ausgelaugt an einem Balken des Fledermausbaums, den die Flugmeister für ihre Tiere aufgestellt hatten. Die Flugmeisterin, eine hagere Untote, die viel Ähnlichkeit mit ihren Fledermäusen hatte, nickte Helmwige kurz zu, bevor sie sich ausgiebig dem Tier widmete, welches Henrietta hierher gebracht hatte. Henrietta wollte sie noch fragen, wo sie Apotheker Lydon finden konnte, aber die Verlassene reagierte nicht im Mindesten auf Henriettas Versuche sie anzusprechen. Sie quasselte in einem fort auf die Fledermaus ein, während sie sie striegelte und ihr eine Wasserschüssel hinstellte. Offensichtlich kam sie mit ihren Tieren besser zurecht als mit deren Reitern.
Henrietta zuckte gleichgültig mit den Schultern und ging auf dem schmalen Pfad in Richtung Tarrens Mühle. Sie würde dort schon jemanden finden, der Lydon kannte, und wenn sie den örtlichen Exekutor fragen musste. Nach wenigen Minuten erreichte sie das Dorf. Hier ging es verglichen mit Undercity wesentlich beschaulicher zu. Die hier ansässigen Verlassenen gingen relativ gemächlich ihrer Arbeit nach, und nur die kleine Garnison an Soldaten machte einen disziplinierten Eindruck. Eine Todeswache trottete langsam den Weg hinauf und Henrietta entschloss sich spontan die Frau nach dem Weg zu Lydon zu fragen.
"Lyd'n, ey?"
Die knochige Frau hob ihren fast skelettierten linken Arm und zeigte auf eine kleine Hütte am Rande des Dorfes.
"Is nich' schwea zu find'n… Is immazu am B'ssl'n. Die H'tt' fliegt min'stens e'nma' in de' W'ch aussenanner…"
Die Wache nickte heftig zu ihren kaum verständlichen Worten (ohne Fleisch am Unterkiefer redet es sich doch etwas beschwerlich) dabei ihren Speer mit der rechten Klaue fest umklammernd. Henrietta bedankte sich knapp und zockelte schnurstracks auf besagte Hütte zu, aus der es auch jetzt verdächtig in allerlei Farben qualmte. Als sie um die Hütte ging, hörte sie ein Zischen und Brodeln sowie das Gemurmel von Stimmen. An der schiefen und an manchen Stellen geschwärzten Holztür angekommen, klopfte Henrietta entschlossen an um sich gegen all die Geräusche durchsetzen zu können. Die Stimmen stockten.
"Wer ist da? Ich bin in einem wichtigen Experiment!" rief eine klare, schneidende Stimme. Diese Stimme hatte es nicht nötig darauf hinzuweisen, dass sie nicht gestört werden wollte. Das nahm sie als Selbstverständlichkeit an. Nun, Henrietta war nicht eine Verlassene geworden, weil sie zaghaft war, oder sich leicht unterkriegen lies. Sie rief energisch zurück:
"Mein Name ist Henrietta Miller. Mein Meister, Apotheker Findiggle, hat mich mit einer Bitte - und einem Brief - zu Euch geschickt, Herr."
Ein kurzer Moment des Schweigens, dann feste Schritte, die sich der Tür näherten. Die Tür wurde aufgerissen, und ein missmutig dreinblickender Verlassener in Apothekerrobe sah auf Henrietta herab.
"Findiggle! Warum habt Ihr das nicht gleich gesagt? Immer herein, immer herein!"
"Apotheker Lydon, nehme ich an?"
Lydon nickte herrisch und machte eine knappe einladende Geste. Henrietta betrat die dunkle Hütte, die mehr an ein umfangreiches Labor, als an ein Wohnhaus erinnerte. Was natürlich auch daran lag, das Verlassene nicht schlafen oder essen müssen und so gut wie kaum Freizeit kennen. Dieses Haus war schon vor Jahren an die Bedürfnisse des Apothekers angepasst worden, und nichts erinnerte mehr an seine früheren Bewohner. Eine ganze Wand wurde von einem grossen, fleckigen Labortisch eingenommen, der überquoll von Glaskolben, Brennern, noch mehr Kolben, Pinzetten, Konservierungsglässern gefüllt mit Alkohol und undefinierbarem Material, noch viel mehr Kolben, Kautschukschläuchen die alles miteinander verbanden, massenhaft Phiolen und noch einiges mehr, das sogar Henrietta nicht zuordnen konnte. Überall blubberte und qualmte es.
"Ihr erwähntet einen Brief?… "
Lydons Stimme riss Henrietta aus ihrer ehrfürchtigen Betrachtung dieser geballten Masse an Labormaterial. Sie griff schnell in ihre Tasche, holte den Brief hervor und legte ihn in die wartend ausgestreckte Hand des Apothekers. Während er das Siegel brach und den Briefumschlag öffnete, sagte er mit der gleichen klaren und präzisen Stimme:
"Normalerweise bin ich sehr für Geduld und Disziplin, am meisten bei meinen Schülern, aber in diesem Fall können wir wohl eine Ausnahme machen, wenn es um eine Nachricht meines alten Lehrers Findiggle geht."
Er holte den Brief aus dem Umschlag, faltete ihn auseinander und überflog ihn mit schnellem Blick.
"HalloalterHalunke… hrm…" Lydon räusperte sich und machte ein pikiertes Gesicht. Henrietta starrte stur geradeaus an ihm vorbei und tat so, als ob sie nichts gehört hätte.
"Konservierung… aha… Ungeeignet… aber… Fenniskraut… Fenniskraut?" Der Verlassene rieb sich nachdenklich das Kinn. Die blanken Knochenfinger der linken Hand erzeugten dabei ein schabendes Geräusch.
"Hm… Das könnte klappen. Euer Meister bittet mich darum, das ich Euch zeige, wo ihr Fenniskraut finden könnt. Ich bin in dieser Beziehung sozusagen Experte!"
Lydon streckte sich und nahm eine fast militärische Haltung an.
"Ich habe die Eigenschaften von Fenniskraut schon zu Lebzeiten ausführlich studiert, und kann euch genau sagen, wo es üblicherweise wächst. Natürlich sehe ich es als eine Pflicht an, meinen alten Lehrer - und natürlich den Verlassenen - bei diesem sinnvollen Unterfangen zu unterstützen!"
Die nächste halbe Stunde erklärte Apotheker Lydon Henrietta, worauf es bei der Suche nach Fenniskraut ankam. Bodenzusammensetzung, Feuchtegrad, Umgebung, Helligkeitsverhältnisse, frühere bekannte Standorte und so weiter. Henrietta versuchte sich alles so schnell und genau wie möglich aufzuschreiben. Lydon war so organisiert wie seine Sprache es vermuten lies, sauber, ordentlich, präzise. Als sie alles geklärt hatten, bedankte Henrietta sich bei ihm. Lydon verabschiedete sich bei Henrietta mit den Worten:
"Ich hoffe für das Wohl aller Verlassenen, dass Findiggle und Ihr Erfolg haben werdet. Heil Sylvanas!"
Er straffte noch einmal seine lange, schlaksige Gestalt und verbeugte sich knapp bemessen vor ihr. Henrietta knickste tief und machte, dass sie aus dem Haus kam. Lydon war sehr hilfreich gewesen, aber er hatte etwas … Fanatisches an sich, das ihr ein ungemütliches Gefühl bereitete. Den Rest des Tages war sie damit beschäftigt ein Reittier zu besorgen, um dann zu ihrem ersten Ziel aufzubrechen, einem toten Wäldchen in der Nähe der alten Festung Durnholde. Lydon hatte diesen Standort als das naheste Ziel einer früheren Sichtung von Fenniskraut benannt. Sie ritt fast die ganze Nacht durch und kam am frühen nächsten Morgen an den mächtigen Mauern der alten Trutzburg an. Nun musste sie nur noch das Wäldchen finden. Diese Suche nahm leider den ganzen Vormittag in Anspruch, da der Nebel und das schlechte Wetter (und leider ihre nicht besonders ausgeprägte Fähigkeit Karten zu lesen) die Suche äusserst erschwerten.
Am frühen Nachmittag fand sie endlich das kleine, tote Waldstück, nach dem sie so lange gesucht hatte. Das Wetter hatte sich gebessert, nur der Nebel wollte aus den toten Bäumen einfach nicht weichen. Henrietta stieg von ihrer Knochenmähre ab. Das tote Tier blieb stehen wie eine abgeschaltete Maschine. Schnell nahm sie eine Korbtasche vom Sattel und ihre kleine Sichel und stapfte steif in das Wäldchen. Sie fand sofort, was sie gesucht hatte. Henrietta lies die Sense fliegen und begann das Fenniskraut zu ernten. Wie es ihre Angewohnheit beim Kräutersammeln war, sang sie dabei wortlos ein Lied. Sie war mitten in ihre Arbeit vertieft, hatte ihre Umgebung völlig ausgeblendet, als jemand hinter ihr plötzlich ihren Namen aussprach.
Ihren alten Kosenamen. Nur einer hatte sie jemals so angesprochen.
"Hanny…"
Etwas passierte mit Henrietta Miller. Erinnerungen fluteten zurück, dunkle Erinnerungen. Sie stand mühevoll auf, obwohl keine physische Last sie behinderte. Sie drehte sich langsam um.
Dort stand er.
"Khan…"
Ihr Ehemann, Khanussu Miller, brach vor ihren Augen zusammen und weinte.
Zuletzt von Helmwige am Mi Jun 16, 2010 4:17 pm bearbeitet; insgesamt 1-mal bearbeitet
Helmwige
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Thema: Re: [AH] Die Schrecken der Vergangenheit (vorl. Titel) Mi Jun 16, 2010 4:16 pm
7. Kapitel - Die Hoffnung stirbt zuletzt -
Khanussus lautes Klagen ertönte aus dem Wäldchen, in dem er vor kurzem verschwunden war. Patala liess die Blüte fallen, die sie eben noch untersucht hatte, und zog mit einer fliessenden Bewegung ihren Dolch. Sie rannte, so schnell es der Boden zuliess, in die gespenstische Baumgruppe hinein. In nur wenigen Sekunden erreichte sie die kleine Lichtung. Patalas Reflexe waren immer noch die einer Kriegerin, auch wenn sie seit einiger Zeit nicht mehr aktiv war. Als sie ihren Liebsten auf dem Boden knien und weinen sah, vor ihm eine Untote mit einer Waffe in der Hand, stürmte sie ohne weiteres Nachdenken auf die wandelnde Leiche zu. Ihr gesamtes Körpergewicht einsetzend, rammte sie der Untoten den Dolch in die Brust. Henrietta wurde durch den Aufprall von Patalas Körper nach hinten geschleudert und zu Boden geworfen, die Sichel flog aus ihrer Hand in die Büsche. Patala kam auf Henrietta zu liegen, immer noch den Dolch umklammernd, der in ihrer Brust steckte. Die Untote knurrte. Für einen kurzen Moment verwandelte Henrietta sich in das kalte, seelenlose Monster, welches in ihr lauerte. Kalte Finger umklammerten Patalas Handgelenke wie Stahlbänder. Eine unmenschliche Kraft lag in ihnen, denen Patalas zierlicher Körper nichts entgegensetzen konnte. Henrietta stiess Patala von sich. Sie flog ein paar Meter weit und krachte dann mit dem Rücken und Hinterkopf an einen der toten Bäume. Patalas Körper sackte in sich zusammen wie eine Gliederpuppe. Regungslos blieb sie auf dem Waldboden liegen.
"Verdammte kleine Hexe…"
Henrietta rappelte sich steif und schwerfällig auf. Sie hustete kurz, den Dolch immer noch in ihrer Brust. Dann sah sie Khanussu an, der den leblosen Körper von Patala mit schreckgeweiteten, verweinten Augen ansah und verstand.
"Oh…" Verlegen tasteten ihre Hände umher. Sie sah zur Seite, wo ihr Korb mit den Pflanzen auf dem Boden lag, die kleinen Blüten teilweise zerdrückt. Sie empfand kein Mitleid, konnte es nicht empfinden. Nur negative Gefühle waren den Verlassenen geblieben.
Wie Hass.
Hass auf die Geißel und den Lichkönig. Hass auf denjenigen, der Millionen getötet und in Monster verwandelt hatte. Hass auf ihr eigenes Schicksal, das sie getrennt hatte von ihrem Mann, und ihre gemeinsamen Kinder hatte zu Grunde gehen lassen. Der Hass gab ihr Kraft. Mit einem unmenschlichen Schrei zog sie den verkeilten Dolch aus ihrem Brustbein und schleuderte ihn zur Seite. Kalt sahen ihre leuchtenden Augen Khanussu an.
"Vielleicht sollte ich auch Dich töten… Liebling. Es bliebe nichts mehr übrig, um das man trauern kann, und wir beide wären endlich frei. Was hältst Du davon?"
Durch den Schock gelähmt hatte Khanussu tatenlos das Geschehen verfolgt. Sein Verstand konnte nicht fassen, was soeben passiert war. Als Henrietta schrie, wandte er seinen unsteten Blick ihr zu. Tränen liefen ihm über die Wangen. Er hörte ihre kalt gesprochenen Worte, konnte sie aber nicht verarbeiten.
"W… was?"
Henrietta lacht laut und herzlos. Sie wollte eigentlich weinen, sie wollte, das ihr totes Herz entzweibrechen und ihr endlich Frieden im endgültigen Tod geben würde. Sie schüttelte den Kopf. Nein, das alles blieb ihr verwehrt. Sie würde weiterhin verdammt sein zu dieser Existenz. Verlassen von allem, was ihr einst lieb und teuer gewesen war. Geblieben war nur eine Erinnerung an die schreckliche Nacht, in der sie zur Untoten geworden war.
Erwachen… Kälte… Eine weisse Leinendecke, fein gestickt, über ihr ausgebreitet. Sie hat sie selbst genäht, aber das ist ihr in diesem Moment nicht bewusst. Hunger… Tod… Ein Druck in ihrem Schädel, kaum auszuhalten… Die Stimme des Lichkönigs… Töten… Töten… Der Geruch nach warmen Blut… Ihr geschundener Körper streift achtlos die Decke von sich. Steif und schwankend geht sie in die Richtung, die der Blutgeruch ihr vorgibt. Ein Hindernis… Unmenschliche Kraft reisst die Tür nieder. Der Geruch nach warmen Fleisch macht sie fast wahnsinnig. Gestalten vor ihr… zwei Kleine, eine Grosse.
TÖTEN! TÖTE SIE!
Finger zu Klauen gekrümmmt, Zähne gebleckt, stürzt sie sich auf ihre Opfer… Die Kleinen zuerst… Die grosse Gestalt brüllt vor Entsetzen. Sie greift hinter sich… Eine Waldaxt. Gefahr!
TÖTE SIE ALLE! NIEMAND DARF ÜBERLEBEN!
Die grosse Gestalt schwingt heulend die Axt… Sie trifft Henrietta an ihrer rechten Schulter… Metall schneidet durch Knochen, Fleisch und Sehnen… Das Wesen, das einmal Henrietta gewesen war, brüllt laut auf… Die Axt nagelt sie an der Holzwand fest. Ihr Körper sackt zusammen… Die grosse Gestalt schluchzt laut auf und rennt aus dem Zimmer… Dunkelheit… Tod…
Die Erinnerung verblasste… Als Henrietta ihren Blick hob, sah sie Khanussu vor sich stehen, das Schwert hoch erhoben. Sein Gesicht arbeitete. Seine Lippen zitterten. Henrietta lächelte.
"Schlag zu…" flüsterte sie.
Vicara
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Thema: Re: [AH] Die Schrecken der Vergangenheit (vorl. Titel) Do Jun 17, 2010 12:26 am
Uh, dramatisch! Wie geht`s weiter? *hibbel*
Helmwige
Anzahl der Beiträge : 86 Anmeldedatum : 28.02.10 Alter : 63
Thema: Re: [AH] Die Schrecken der Vergangenheit (vorl. Titel) Mi Jun 30, 2010 11:21 pm
8. Kapitel - Traue Niemandem! -
Die Verlassene, die einmal Henrietta Miller gewesen war, schloss die Augen. Khanussu stand vor ihr. Das Schwert, sonst so leicht, wog schwer in seiner Hand. Gedanken rasten durch seinen Schädel. Er wollte zuschlagen. Oh, wie sehr er das wollte. Er hasste diese Leichen, die Lordaeron - sein Lordaeron! - überrannt hatten und für sich beanspruchten. Er begann zu zittern. Diese Leichen… Solange er sie nicht persönlich gekannt hatte, hatte er sie hassen können. Henrietta… konnte er nicht hassen. Es hatte ihm damals das Herz zerrissen, mit der Axt nach ihr schlagen zu müssen, um ihre gemeinsamen Kinder vor ihr zu retten. Es war ein nutzloser Akt der Verzweiflung geblieben, die Kinder waren trotzdem später an der Seuche gestorben. Er hatte sie während der Flucht am Wegrand verscharren müssen.
Khanussu drehte sich schwankend um. Seine Hand, die das Schwert hielt, fiel wie Blei nach unten. Weinend wankte er auf Patala zu, die immer noch leblos auf dem Waldboden lag. Sein langer Körper sackte vor ihr schwer in sich zusammen. Er lies das Schwert achtlos neben sich fallen und hob Patalas Oberkörper sanft hoch. Ihr Kopf baumelte unnatürlich von einer Seite auf die andere. Khanussu schluchzte noch lauter und drückte Patalas noch warmen Körper an sich.
Es half nichts. Sie war tot.
Der Schmerz übermannte Khanussu. Sein Herz brach entzwei. Als sich der Nebel endlich aus dem toten Wäldchen verflüchtigte, stieg sein Heulen mit dem Nebel auf in den klaren Frühsommerhimmel. Erst als er nicht mehr genug Luft bekam, seine Stimme rauh wurde, hörte er auf. Er legte Patala vorsichtig auf dem Waldboden ab. Er wollte nach seinem Schwert greifen, aber seine linke Hand griff ins Leere. Verblüfft sah er sich um.
Die Sonne blitzte auf der hocherhobenen Klinge. Das Schwert sang sein Lied. Das Lied des Todes.
Henrietta war schon immer geschickt mit der Sense gewesen, sie legte all ihre unnatürliche Kraft in den Schlag. Khanussus Kopf hüpfte von den Schultern und rollte noch eine kurze Strecke über den unebenen Waldboden, bevor er endgültig zur Ruhe kam. Das Erstaunen lag noch immer in seinem Blick. Dann entwich das letzte Leben aus seinen Augen.
Henrietta betrachtete kurz mit kaltem Blick das Mordinstrument. Warmes Blut floss die Klinge hinab, dicke Tropfen fielen mit leisem "Plitsch" auf den weichen Boden, der das Blut hungrig aufsog. Es war ein gutes Schwert, und es hatte gute Arbeit geleistet. Sie überlegte kurz, ob sie die beiden Leichen begraben sollte, entschied sich aber dann dagegen. Sie hatte schon genug Zeit bei dieser Sache verloren. Findiggle würde sie schon ungeduldig erwarten. Mit leerem Blick lies sie das Schwert fallen. Sie drehte sich um, ein schneller Blick über die Lichtung sagte ihr, dass es wohl nutzlos war, nach ihrer kleinen Kräutersense zu suchen. Sie konnte überall sein. Ein wenig tat es ihr leid, die Sense zurücklassen zu müssen.
Sie war ein Geschenk von Khanussu zu ihrem 10. Hochzeitstag gewesen.
Sie schüttelte den Gedanken ab. Sie würde leicht eine neue Sense bekommen. Im Gegenteil, es war eine Erleichterung, die Sense verloren zu wissen. Nichts, was sie noch an die Vergangenheit erinnern würde, war ihr geblieben. Nur der Blick nach vorne war noch wichtig. Liebe war etwas für die Lebenden. Sie brauchte keine Liebe mehr. Sie war eine Verlassene.
Sieg für Sylvanas! Alle Macht den Verlassenen!
Henrietta verschwendete keinen Blick mehr an die Leichen, sammelte ihren Korb und die Kröuter ein, bestieg steif ihre Knochenmähre, die wie eine Maschine zum Leben erwachte, und ritt ohne einen Blick zurück zu werfen davon. Hinter hier landete der Papagei Schewardnadse auf dem leblosen Körper seiner Herrin. Er krächzte verwirrt. Aber seine Halterin konnte ihm keine Leckerei mehr geben.
Es war ein weiter Weg bis Tarrens Mühle.
Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie schwer es mir gefallen ist, dieses Ende niederzuschreiben. Irgendwie war es mir von vornherein klar, das es so enden musste. Aber ich konnte mich lange nicht dazu durchringen. Aber im Endeffekt war dieses Ende zu zwingend. Es hat mich einige Kraft gekostet. Ich hoffe, das euch die Geschichte trotzdem gefallen hat.
-Euer Knochen
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Thema: Re: [AH] Die Schrecken der Vergangenheit (vorl. Titel)
[AH] Die Schrecken der Vergangenheit (vorl. Titel)